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Der Milieuschutz - Interview mit Rechtsanwalt Stefan Latosik

In vielen Großstädten in Deutschland werden immer mehr Gebiete als Erhaltungsgebiete ausgewiesen und der Milieuschutz festgelegt. Doch wie kann ein solcher Erhaltungsschutz begründet werden und wieso kommt dieser immer mehr zum Einsatz?



Unser Interview mit Herrn Latosik von der Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB aus Hamburg


PVP:

Guten Tag Herr Latosik, bevor wir mit unserem Interview beginnen erzählen Sie uns doch bitte kurz etwas zu Ihrer Person.


Latosik:

Von 2005 bis 2008 habe ich Bauingenieurwesen in Weimar studiert. Nach meinem Studium war ich ein Jahr in der Projektsteuerung und im Baucontrolling bei der ARCADIS Deutschland GmbH in München tätig. 2009 habe ich dann mein Jurastudium begonnen und im Jahr 2018 habe ich mein Referendariat abgeschlossen. Nebenbei war ich als Bauingenieur tätig und habe zusammen mit einem Kollegen aus meinem ersten Studium in den letzten Jahren zwei Mehrfamilienhäuser in Hamburg gebaut. Seit 2018 arbeite ich als Rechtsanwalt bei der Kanzlei Kapellmann. Hier berate ich unter anderem Bauunternehmen und Projektentwickler im privaten und öffentlichen Baurecht. Darüber hinaus berate ich auch öffentliche Auftraggeber bzw. Zuwendungsempfänger im Vergaberecht.


PVP:

Die Hauptstadt Berlin weist immer mehr Erhaltungsgebiete aus. Aktuell sind zwölf soziale Erhaltungsgebiete im Bezirk Mitte von Berlin festgesetzt. Mehr als die Hälfte davon wurden zwischen September 2018 und März 2019 festgesetzt.

Wie lässt sich diese Entwicklung in dem kurzen Zeitraum erklären?


Latosik:

Berlin hat seit Jahren mit dem Problem zu kämpfen, dass die Mietpreise zu hoch sind. Mit der Einführung der Mietpreisbremse konnte dieses aber nicht gelöst werden. Durch die Ausweisung von Erhaltungsgebieten, insbesondere durch die Aufstellung von sogenannten Milieuschutzsatzungen, haben die Bezirke die Möglichkeit, in diesen Gebieten beim Verkauf von Grundstücken ein Vorkaufsrecht auszuüben bzw. die Ausübung zumindest in Aussicht zu stellen. Dadurch sollen die Käufer beziehungsweise Investoren zum Abschluss einer sogenannten Abwendungsvereinbarung bewegt werden, mit der sich Investoren dazu verpflichten, auf nahezu alle Ausnahmen im Sinne des § 172 BauGB, auf die sich jeder Grundstückseigentümer in einem Erhaltungsgebiet berufen kann, zum Beispiel der Verzicht auf zukünftige Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen. Mit dieser Praxis versuchen die Bezirke ihre sozialpolitische Agenda umzusetzen, da die Umwandlung in Eigentumswohnungen nach der Auffassung der Bezirke regelmäßig zu hören Mieten führen würde.


PVP:

In Gebieten in denen Erhaltungsschutz, auch Milieuschutz genannt, festgelegt worden sind, gilt das gemeindliche Vorkaufsrecht für die Gemeinden.

Wie kann eine Milieuschutzssatzung begründet werden? Bitte erläutern Sie uns kurz welche Schritte für die Aufstellung einer Milieuschutzsatzung getätigt werden.


Latosik:

Die Voraussetzungen zur Aufstellung einer Milieuschutzsatzung im Sinne des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB gliedern sich im Wesentlichen in drei Schritte. Im ersten Schritt muss die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, also die tatsächlichen Verhältnisse analysiert und beschrieben werden. In Schritt 2 müssen städtebauliche Gründe aufgezählt werden, die für den Erhalt der Zusammensetzung der festgestellten Wohnbevölkerung sprechen und warum diese zu erhalten sind. Der Mieterschutz als solcher reicht in diesem Zusammenhang als Begründung für eine Milieuschutzsatzung regelmäßig nicht aus.

Im letzten Schritt muss nachgewiesen werden, dass die Milieuschutzsatzung zwingend erforderlich ist, um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu schützen und keine anderen Möglichkeiten bestehen.


PVP:

Was bedeutet das gemeindliche Vorkaufsrecht für den Verkäufer, sowie den ursprünglichen Investor?


Latosik:

Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist für den Verkäufer grundsätzlich nicht von entscheidender Bedeutung, sofern der Kaufpreis nicht deutlich über dem Verkehrswert liegt. In diesem Fall könnten die Gemeinden im Rahmen der Ausübung des Vorkaufsrechts den Kaufpreis auf den Verkehrswert reduzieren.

Für den Investor bedeutet die potenzielle Ausübung des Vorkaufsrechts, dass er das Grundstück nicht erwerben und seine Projektidee nicht realisieren kann. Daher ist der Investor bestrebt, die Ausübung des Vorkaufsrechts abzuwenden, sei es durch eine einseitige Abwendungserklärung oder durch eine beidseitige Abwendungsvereinbarung, deren Inhalt allerdings von dem jeweiligen Bezirk beziehungsweise Gemeinde vorgegeben wird. Welchen Inhalt dabei eine Abwendungserklärung gegenüber der Behörde mindestens haben muss, um wirksam zu sein, ist im Gesetz allerdings nicht eindeutig geregelt. Investoren wissen somit nicht, was genau und in welchem Umfang sie im Rahmen einer Abwendungserklärung zusichern müssen, um die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinden abzuwenden.

Dieser Unsicherheit können Investoren nur entgehen, wenn sie mit den Bezirken eine Abwendungsvereinbarung abschließen, mit der unter anderem vereinbart wird, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht erfolgt. Im Gegenzug müssen Investoren allerdings auf umfangreiche Rechte, die sie als Eigentümer in einem Milieuschutzgebiet hätten, verzichten. Nahezu der gesamte Ausnahmekatalog des § 172 Abs. 4 BauGB wird regelmäßig in diesen Abwendungsvereinbarungen ausgeschlossen, insbesondere muss der Investor für Jahrzehnte auf die Umwandlung in Eigentumswohnungen verzichten.


PVP:

Wie sind die gesetzlichen Grundlagen für das gemeindliche Vorkaufsrecht?


Latosik:

Die gesetzlichen Grundlagen für das gemeindliche Vorkaufsrecht sind in § 24 Absatz 1 Satz 1 BauGB und im Speziellen für Milieuschutzsatzungen in §172 BauGB (Erhaltungssatzung) geregelt.


PVP:

Eine Kommune hat das Wahlrecht zum Verkehrswert zu kaufen, wenn der Kaufpreis auf erkennbarer Weise höher ist als der Verkehrswert. Dieser berücksichtigt alle Umstände im Geschäftsverkehr. Dem Verkäufer ist es in diesem Fall möglich vom Vertrag zurückzutreten.

Kann es bei einem Vertragsrücktritt durch den Verkäufer noch zu einer Transaktion kommen?


Latosik:

Der Verkäufer muss nicht an den Bezirk bzw. den Vorkaufsberechtigten veräußern. Allerdings steht es dem Verkäufer frei, nach einem Vertragsrücktritt beispielsweise abzuwarten, bis die Milieuschutzsatzung für das Gebiet aufgehoben wird, um dann erneut zu verkaufen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit für den Verkäufer, einen erneuten Kaufvertrag, gegebenenfalls mit abweichendem Inhalt, mit dem gleichen oder einem anderen Investor abzuschließen und die Ausübung des Vorkaufsrechts (erneut) abzuwenden.


PVP:

Ist Ihnen bekannt, ob der Milieuschutz auch für andere Städte in Deutschland festgelegt worden ist?


Latosik:

Der Milieuschutz ist mittlerweile in vielen Großstädten in Deutschland wie zum Beispiel München ein gängiges städtebauliches Instrument, wobei jedoch noch viele Fragen nicht in Gänze geklärt sind.


PVP:

Zu guter Letzt. Wie ist Ihre Meinung zur Erhaltungs- und Milieuschutzsatzung nach § 172 Baugesetzbuch (BauGB)? Was würden Sie ändern? Befürworten Sie eine Festlegung von Erhaltungsgebieten?


Latosik:

Ja, ich befürworte die Festlegung von Erhaltungsgebieten, wenn dafür städtebauliche Gründe bestehen. Schließlich bietet das BauGB diese Möglichkeiten. Hier sollten die Bezirke bzw. Gemeinden bei der Aufstellung jedoch größtmögliche Sorgfalt walten lassen, um die Voraussetzungen ausreichend zu dokumentieren und zu begründen. Dies scheint mir jedoch nicht immer der Fall zu sein, so dass Erhaltungs- bzw. Milieuschutzsatzungen zunehmend auch gerichtlich überprüft werden.


Jedoch wäre ich für eine Anpassung der Rechtslage. Die Anforderungen an Abwendungserklärungen bzw. der zulässige Inhalt von Abwendungsvereinbarungen sollte nicht den Bezirken bzw. Gemeinden sondern dem Gesetzgeber überlassen werden. Für den Inhalt von Abwendungserklärung sollte ein klarer gesetzlicher Rahmen vorgegeben werden, um mehr Rechtssicherheit für Investoren zu schaffen.

Investoren und Projektentwickler haben im Rahmen eines Ankaufsprozesses in der Regel keine Zeit, um gegen die unberechtigte Ausübung eines Vorkaufsrechts über mehrere Jahre hinweg gerichtlich klären zu lassen. Daher bleibt ihnen in der kurzen Frist oftmals nur die Möglichkeit – um Sicherheit über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts zu erhalten – eine Abwendungsvereinbarung abzuschließen, bei denen allerdings kaum Verhandlungsmöglichkeiten bestehen. Die Bedingungen werden quasi von den Bezirken diktiert, die sich am längeren Hebel wähnen. Ich sehe jedoch in den meisten Fällen nicht die Notwendigkeit, eine Abwendungsvereinbarung vorschnell abzuschließen. Hier sollten sich Betroffene vorher juristisch beraten lassen, inwieweit die Ausübung des Vorkaufsrechts auch mit einer einseitigen Abwendungserklärung abgewendet werden kann. Unabhängig davon wäre es jedoch sinnvoll, dass der zulässige Inhalt von Abwendungsvereinbarungen reguliert wird, damit Bezirke bzw. Gemeinden keine überzogenen Anforderungen stellen, die Investoren notgedrungen akzeptieren müssen, um die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtssicher ausschließen zu können.


PVP:

Vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview führte Jennifer Felk, Mitarbeiterin im Content Management.



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